Arktische Smaragdlibelle
Somatochlora arctica
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Somatochlora arctica ist eine eurosibirisch-subarktisch verbreitete Art, die innerhalb Europas schwerpunktmäßig in Skandinavien, Nordosteuropa und den Mittelgebirgen Osteuropas verbreitet ist (Dijkstra & Lewington 2006). In Mittel- und Westeuropa gilt sie als extrem selten. Hier ist ihr Vorkommen lokal auf die Moorgebiete der Mittelgebirge, des Alpenvorlandes und des nordwesteuropäischen Flachlandes beschränkt. In den benachbarten Niederlanden existieren derzeit sieben Vorkommen (Bouwman et al. 2008), von denen neben dem grenznahen Wooldsche Veen (Gelderland) zwei weitere Vorkommen nur einige Kilometer von der niederländisch-deutschen Grenze entfernt liegen: das Vragenderveen (Gelderland) und die Brunssumer Heide (Süd-Limburg) (Wakkie & Hermans 1997; Ketelaar et al. 2005). In Deutschland besitzt S. arctica einen Verbreitungsschwerpunkt in den Voralpen und im Alpenraum (Kuhn & Burbach 1998). In Niedersachsen ist die Art lokal verbreitet (Clausnitzer et al. 2007), neuere Funde im nur spärlich untersuchten nordwestlichen Niedersachsen deuten jedoch auf Erfassungsdefizite hin (Bouwman & Groenendijk 2007).
Aus Nordrhein-Westfalen sind aktuell sechs Vorkommensgebiete von Somatochlora arctica bekannt. Die Art ist hier extrem selten.
Im Rheinland ist S. arctica aus dem NSG Elmpter Schwalmbruch [4702/4], dem Hohen Venn sowie der Südlichen Bergischen Heideterrasse nachgewiesen. Nachdem zwischen 1984 und 1986 im zentralen Zwischenmoor des NSG Elmpter Schwalmbruch mehrfach einzelne Tiere auch bei der Eiablage beobachtet werden konnten (Jödicke et al. 1989), gelangen Bodenständigkeitsnachweise in den Jahren 1998 und 2001.
Für das Hohe Venn beschreibt Le Roi (1915) erstmals einen Nachweis von S. arctica in der Nähe von Mützenich durch Erich Schmidt, wobei nicht mehr zu klären ist, ob der Fund auf heute deutschem oder belgischem Hoheitsgebiet liegt. Nach Vernässungsarbeiten und Entfernung der Fichtenforste 1993 erfolgte 2005 im NSG Vennhochfläche bei Mützenich [5403/1] ein Einzelfund einer Exuvie (Aletsee 2005b). Eine kleine, stabile Population besteht im NSG Wollerscheider Venn bei Simmerath [5303/4] (Schmidt 1983b). Die Population wurde regelmäßig untersucht und mehrmals durch Exuvienfunde bestätigt, wobei die Schlupfrate auf ungefähr 15-20 Tiere pro Jahr geschätzt wird (Aletsee 2005a; 2005b, 2010). Die deutschen Vorkommen sind als Teile des grenzübergreifenden Vorkommens im Hohen Venn zu sehen, dessen Schwerpunkt auf belgischer Seite liegt (Anselin 1983; Goffart 2000; Aletsee 2005a, 2010; Kever et al. 2014).
Innerhalb der Südlichen Bergischen Heideterrasse ist die Art aktuell nur aus der Wahner Heide gemeldet, wo S. arctica schon Anfang des 20. Jahrhunderts erwähnt wurde (le Roi 1915a; Schmidt 1926; Peus 1928). Aktuell sind in der Wahner Heide fünf besiedelte Moorbereiche bekannt, in denen die Art regelmäßig angetroffen werden kann (Barbón 1995; D. Ferber mündl. Mitt.). Nur wenige Kilometer östlich der Wahner Heide konnte Schmidt (1989b) im NSG Gagelbestand bei Siegburg [5109/3] einige Tiere bei der Eiablage beobachten.
Innerhalb Westfalens sind bodenständige Nachweise aus der Senne, den Borkenbergen und dem Burlo-Vardingholter Venn bekannt. Die Senne ist hier ein wesentlicher Vorkommensschwerpunkt, wo seit 1987 Beobachtungen aus fünf Quellmooren vorliegen (Hahn 1989, 1999). Unregelmäßige Nachweise der Art liegen ferner aus dem NSG „Donoper Teich-Hiddeser Bent“ [4018/4] vor (Sonnenburg & Garczorz 2014). Im Hiddeser Bent war S.arctica „offenbar 2009 noch bodenständig“, am 25.05.2014 konnte hier ein frisches Exemplar beobachtet werden (ebd.). Auf Grund der Nähe des Hiddeser Bent zu den Senne-Mooren wird von einem Nachbarschaftseffekt und eventuellen regelmäßigen Einflügen ausgegangen.
Ein Vorkommen auf dem Truppenübungsplatz Borkenberge [4209/2] konnte 1990 im nördlichen Teil in den NSG’s Hochmoor Borkenberge (=Süskenbrocksmoor) [4209/2] und Gagelbruch [4209/2] durch Exuvienfunde belegt werden (Borries 1990). Aktuell wurde die Art hier auf Grund mangelnder Wasserführung aber nicht mehr beobachtet. Im Jahr 2007 gelang der bodenständige Nachweis eines bisher unbekannten Vorkommens in zwei kleinen, bisher nicht untersuchten Kleinmooren im Süden der Borkenberge (Olthoff & Schmidt 2009). Es konnten zeitgleich maximal fünf fliegende Individuen angetroffen werden, was auf ein nur individuenarmes Vorkommen schließen lässt.
Ein größeres Vorkommen von S. arctica ist aus dem NSG Burlo-Vardingholter Venn im Kreis Borken [4006/3] bekannt, das mit dem Wooldschen Veen auf niederländischer Seite eine Einheit darstellt (Olthoff & Menke 2007). Seit 1998 ist ein großes Vorkommen der Art aus dem niederländischen Teil bekannt (Ketelaar et al. 2005). Nach Hinweisen niederländischer Libellenkundlern konnte 2005 eine Kopula der Art im Burlo-Vardingholter Venn beobachtet werden. Eine Untersuchung im Jahr 2007 erbrachte auf deutscher Seite des Moores den Nachweis von 14 Exuvien und maximal zehn zeitgleich patrouillierenden Imagines.
Der Nachweis einzelner patrouillierender Männchen gelang 2010 im NSG Hündfelder Moor [3807/2] (vgl. Olthoff & Ikemeyer 2011). Beobachtungen der Art in den Folgejahren gelangen nicht.
Die Höhenverbreitung von S. arctica entspricht dem Vorkommen der Moorgebiete in Nordrhein-Westfalen. Im Hohen Venn besiedelt sie Höhenlagen zwischen 500 und 700 m ü.NN, im Tiefland hingegen findet sie sich ausschließlich unterhalb von 100 m ü.NN.
Die (Erst-)Nachweise der Art aus den oben beschriebenen Gebieten in den letzten Jahrzehnten sind nicht das Ergebnis von Neubesiedlungen, sondern auf die intensivere Erforschung der Libellenfauna zurückzuführen. Zumindest in Westfalen, aber auch am Rand des Hohen Venns, muss davon ausgegangen werden, dass eine Vielzahl von nie bekannt gewordenen Lebensräumen von S. arctica durch Entwässerung und Urbanisierung der Landschaft im 19. und 20. Jahrhundert verloren gegangen ist.
Lohmann (1981) und Sternberg (1998) vermuten, dass eine Besiedlung Mitteleuropas erst während der Hochmoorentwicklung im Atlantikum vor 8.000 Jahren eintrat und das disjunkte mitteleuropäische Verbreitungsmuster ein Ergebnis einer Austrocknung im späten Subboreal ist. Bei Betrachtung der Verbreitung und der heutigen Kenntnis zur Autökologie der Art – sie ist keine obligate Hochmoorart – muss davon ausgegangen werden, dass S. arctica ähnlich wie die meisten heutigen (sub-)arktischen Floren- und Faunenelemente im Spätglazial ihr Verbreitungsareal im südlichen Mitteleuropa hatte (Aletsee 2006a). Entsprechend kann diese Libellenart als ein klassisches Beispiel eines eiszeitlichen Relikts in Mitteleuropa bezeichnet werden.
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Somatochlora arctica besiedelt in Nordrhein-Westfalen kleine Schlenken in Hoch- oder Übergangsmooren sowie Hang- und Quellmoore. An ihrer westlichen Arealgrenze, zu der auch das Hohe Venn gehört, wird S. arctica als kaltstenotop und tyrpho-helokrenophil eingestuft (Aletsee 2006a). Sie benötigt hier oligotroph-saure und quellig-sickernde Moorstandorte. Die Vegetation der Fortpflanzungsgewässer wird meist von Sphagnum spp. (Torfmoose) dominiert. Exuvienfundorte mit Dominanz von Drepanocladus fluitans (Schwimm-Sichelmoos) oder Narthecium ossifragum (Moorlilie) wurden im Hohen Venn ausnahmsweise nachgewiesen (Aletsee 2006a). Die Larven halten sich überwiegend zwischen den Pflänzchen dichter, mehr oder weniger flutender Torfmoospolster oder im Torfschlamm auf (Sternberg & Buchwald 2000; Wildermuth 2008). Daneben sind an den besiedelten Gewässern regelmäßig auch krautige Pflanzen mit senkrechter Struktur anzutreffen. Die Wasserflächen sind maximal wenige Quadratmeter groß und können im Sommer weitgehend trocken fallen. Exuvienfunde gelingen zumeist auf den Torfmoospolstern oder an senkrechten Vegetationsstrukturen. Im Hohen Venn kann die Art syntop mit Aeshna subarctica (Hochmoor-Mosaikjungfer) vermoorte Palsenstrukturen (Relikte spätglazialer Frosthügel) besiedeln (Aletsee 2005a, 2010). Im Gegensatz zu A. subarctica meidet die Art jedoch die offenen Kolke und kommt ausschließlich an den nur temporär überfluteten, leicht überrieselten Schlenken vor.
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Somatochlora arctica fliegt in Nordrhein-Westfalen von Mitte Mai bis Anfang August, ein Einzelfund gelang noch Mitte September. Exuvien können sowohl im Flachland als auch in den Mittelgebirgen vorwiegend im Juni gefunden werden. Die gesamte Schlupfperiode der Art erstreckt sich von der letzten Aprildekade bis Ende Juli. Der früheste Nachweis aus Nordrhein-Westfalen stammt vom 30.04.(1990), während der letzte am 16.09.(1982) erfolgte.
Gefährdung und Schutz
Somatochlora arctica ist in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen „vom Aussterben bedroht“ (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011).
Somatochlora arctica gehört in Nordrhein-Westfalen zu den am stärksten bedrohten Libellenarten, obwohl alle Vorkommen in Naturschutzgebieten liegen und somit gesetzlich unter Schutz stehen. Als wichtigste Gefährdungsursache ist – gerade in den größeren Moorgebieten – die Zerstörung der Lebensräume durch Entwässerung und Eutrophierung anzusehen. Für einen Großteil der Vorkommen sind für die Offenhaltung der Fortpflanzungsgewässer Pflegemaßnahmen notwendig, da auf Grund des gestörten Wasserhaushaltes Gehölze aufkommen. Von gezielten Entbuschungsmaßnahmen, wie sie in den letzten Jahren beispielsweise im Burlo-Vardingholter Venn oder in der Senne durchgeführt wurden, kann die Art profitieren. Beweidungsmaßnahmen im Wollerscheider Venn haben sich auf Grund der durch die Eutrophierung bedingten Veränderung der Moorvegetation als negativ herausgestellt.
Als eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen für S. arctica in Nordrhein-Westfalen ist die schonende Wiedervernässung der Moorstandorte zu sehen. Hierdurch entstehen neue Fortpflanzungsgewässer und der Gehölzaufwuchs wird verhindert. Eine zukünftige erhöhte Gefährdung durch die prognostizierte Klimaerwärmung ist wahrscheinlich. Für diese Art sollte dringend ein Artenschutzprogramm umgesetzt werden.