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Atlas der Libellen Nordrhein-Westfalens

Arbeitskreis Libellen NRW in Zusammenarbeit mit dem LWL-Museum für Naturkunde

Der Atlas zeigt Ihnen auf Basis von Topographischen Karten das Vorkommen heimischer Libellenarten. Probieren Sie es aus.

Südlicher Blaupfeil

Orthetrum brunneum

Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
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Startjahr

Endjahr

 

Artfoto
Männchen von O. brunneum (Hérault, Languedoc, Frankreich, 30.06.2015). Foto: Lohr, Mathias

Verbreitung und Bestandssituation

Orthetrum brunneum ist eine holomediterran verbreitete Art, deren nördliche Verbreitungsgrenze durch Mitteleuropa verläuft. Im Osten erstreckt sich das Areal bis zur Mongolei, im Süden bis in den Mittleren Osten und in Teile Nordafrikas. Das Hauptverbreitungsgebiet liegt rund um das Mittelmeer (Dijkstra & Lewington 2006). In Belgien und den Niederlanden findet man die Art jeweils in den südöstlichen Landesteilen. In Deutschland ist die Art für alle Bundesländer belegt (Müller & Schorr 2001) und von Norden nach Süden ist eine deutliche Zunahme der Nachweise festzustellen. In den vergangenen Jahrzehnten ist insgesamt die Anzahl der Beobachtungen deutlich angestiegen (Sternberg & Buchwald 2000; Brockhaus & Fischer 2005).

Die Vorkommen in Nordrhein-Westfalen liegen am nördlichen Arealrand der Art, die hier als selten gilt. O. brunneum war bis zum Jahr 2000 mit nur wenigen Fundorten bekannt, hat sich aber seitdem - wahrscheinlich klimatisch bedingt - ausgebreitet.

Die ersten nordrhein-westfälischen Nachweise von O. brunneum stammen aus dem Jahr 1908 aus dem Gangelter Bruch im Kreis Heinsberg und aus Venlo an der deutsch-niederländischen Grenze (le Roi 1915a). In Westfalen wurde die Art 1914 bei Bielefeld und 1940 im NSG Venner Moor bei Münster [4111/1] gefunden (Gries & Oonk 1975; Rudolph 1989). Aus den Jahren zwischen 1951 und 1994 sind nur wenige Fundorte aus dem Rheinland (z.B. Schiffer 1976; Krüner 1992) und dem westfälischen Landesteil (z. B. Rudolph 1984b; Loos 1989) bekannt, die teils auch heute noch besiedelt sind.

Die aktuell bekannten Vorkommen von O. brunneum liegen überwiegend im Flachland Nordrhein-Westfalens, wo etwa seit 1995 deutlich mehr Beobachtungen registriert wurden. Seit 2000 existieren auch Funde aus den Mittelgebirgen und die Art konnte beispielsweise in mehreren Jahren im Grubengelände Littfeld bei Burgholdinghausen [4913/4] (Belz & Fuhrmann 2000; Behle et al 2005) sowie als höchstgelegener Fundort in NRW im NSG Wollerscheider Venn bei Lammersdorf [5303/4] auf 570 m ü.NN nachgewiesen werden. Mit wenigen Ausnahmen wie beispielsweise dem Entwässerungsgraben der Halde Emil Mayrisch [5003/3] oder dem Fürstenberggraben im Tagebau Frechen [5106/1] wurden meist nur Einzeltiere oder kleinere Populationen nachgewiesen.

Das Vorkommen von O. brunneum am Entwässerungsgraben der Halde Emil Mayrisch ist seit 1992 bekannt (Krüner 1992, 2007) und zählt zu den bestuntersuchtesten im Land. An dem ca. 2,2 km langen Abschnitt existiert seit dieser Zeit eine große bodenständige Population mit mehreren hundert Larven und teils mehr als 150 Tieren, wobei die Männchen Reviere von etwa vier bis zehn Metern entlang des Grabens verteidigen.

Das Vorkommen im Rekultivierungsgebiet des Tagebaus Frechen ist erst seit 2005 bekannt (Rodenkirchen & Axer 2009). Hier konnte an dem 2004 angelegten, ca. 4,5 km langen Fürstenberggraben, der Quellwasser in den künstlich angelegten Boisdorfer See leitet, eine große bodenständige Population mit weit mehr als 400 Tieren angetroffen werden, wobei die Männchen im Abstand von etwa fünf bis zehn Metern ihre Reviere verteidigen.

Aus dem westfälischen Raum sind einige beständige Fundorte aus den Steinbrüchen der Beckumer Berge [4114/3, 4213/2, 4214/1] sowie aus der Emsaue im Kreis Gütersloh [4015/4] bekannt. Daneben existieren zahlreiche Einzelmeldungen oder kurzfristige teils bodenständige Vorkommen, die sich meist nahezu unmittelbar nach Bachrenaturierungen einstellen und wo die Tiere mit der voranschreitenden Sukzession wieder abwandern.

Lebensräume in Nordrhein-Westfalen

Orthetrum brunneum ist eine typische Pionierart natürlicher oder naturnaher Flussauen und findet sich hier in Gewässern, deren Vegetation auf Grund einer hohen Umlagerungsdynamik regelmäßig ausgeräumt wird. In Nordrhein-Westfalen ist die Art weitgehend auf Ersatzlebensräume angewiesen. Sie besiedelt kleine Bäche und Gräben sowie Sickerstellen in Tongruben oder Steinbrüchen. Oft sind die Gewässer durchströmt, wobei die Fließgeschwindigkeiten meist sehr gering sind und die Wassertiefe nur wenige bis maximal 20 cm beträgt. Die Habitate sind dabei in der Regel gut besonnt und vegetationsfrei. Auf Grund der Wasserströmung frieren sie im Winter nicht zu. Diese Faktoren begünstigen die rasche Erwärmung des Wassers und sorgen so für eine zügige Entwicklung der Larven. Die Larven leben zum Teil vergraben im Substrat, wobei ältere Larven auch über Algenwatten oder frei auf dem Substrat auf der Suche nach Futter laufen können. Die Wasserqualität spielt scheinbar eine untergeordnete Rolle, da die Larven von O. brunneum eine hohe Salzbelastung und Eutrophierung vertragen (Krüner 1992).

Ein wichtiges Kriterium für die Wahl der Lebensräume ist die Vegetationsbedeckung. Nimmt sie stark zu und die Abschnitte verbuschen, so verschwindet O. brunneum und gelegentlich tritt O. coerulescens (Kleiner Blaupfeil) an deren Stelle (Sternberg & Buchwald 2000; Rodenkirchen & Axer 2009).

Phänologie in Nordrhein-Westfalen

Die Hauptflugzeit von Orthetrum brunneum in Nordrhein-Westfalen beginnt Mitte Mai und reicht bis in den August. Wie die Flugzeit ist auch die Emergenzperiode lang gestreckt. Exuvienfunde gelangen zwischen Mai und August. Der früheste Nachweis stammt vom 15.05.(2000), der späteste vom 06.09.(1992). Am Entwässerungsgraben der Halde Emil Mayrisch konnte für die Art eine ein- bis zweijährige Entwicklung belegt werden.

Gefährdung und Schutz

Orthetrum brunneum gilt in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen als „ungefährdet“ (Ott et al. 2015, Conze & Grönhagen 2011).

Die Gefährdungseinstufung von O. brunneum hat sich auf Grund der zahlreichen Neufunde in Nordrhein-Westfalen seit 1995 und einer neuen Vorgabe für die Rote-Liste Einstufungen von „vom Aussterben bedroht“ (Ott & Piper 1998) zu „ungefährdet“ (Conze & Grönhagen 2011) stark geändert.

Nordrhein-Westfalen liegt am Rande des Verbreitungsgebietes der Art, die sich vermutlich begünstigt durch die relativ warmen Sommerperioden der letzten Jahre seit 1995 auszubreiten scheint. O. brunneum braucht leicht fließende, offene und sonnenexponierte Gewässer, so dass bei den bekannten Vorkommen die Gewässer durch geeignete Pflegemaßnahmen offen gehalten werden müssen. Eine fehlende Räumung dürfte in den meisten Fällen zum Erlöschen der Population und zum Abwandern der Art führen. Die Art ist hoch mobil und kann neue geeignete Gewässer recht schnell besiedeln.

Die große Population am Entwässerungsgraben der Halde Emil Mayrisch konnte durch Pflegemaßnahmen (Entfernen des Schilfaufwuchses) in jedem zweiten Jahr bisher erhalten werden. Das Mähen der Uferböschungen verträgt die Art gut, da sie auf steinigen, offenen Böden ihre Sitzwarten einnimmt (Heymer 1969). Langfristig droht hier allerdings die Bewaldung der gesamten Umgebung auf Grund von Gehölzpflanzungen.

Anders sieht es bei dem Vorkommen im Rekultivierungsgebiet Frechen aus. Hier findet derzeit keine Pflege statt und der Bachlauf verbuscht und verkrautet immer mehr. Anstelle der ehemals kiesigen Flächen breiten sich in wechselnder Folge mit Phragmites australis (Schilf), Typha ssp. (Rohrkolben), Equisetum spp. (Schachtelhalm) und Juncus spp. (Binsen) bestandene Zonen aus. Das Vorkommen von O. brunneum wird derzeit immer kleiner und die Art könnte abwandern und von O. coerulescens abgelöst werden (Rodenkirchen & Axer 2009).

Als weiteres Problem für die Art ist ein frühes Austrocknen der Fortpflanzungsgewässer durch Entwässerung oder Absenkung des Grundwassers zu sehen. In der Emsaue im Kreis Gütersloh wird Trinkwasser gewonnen, was zu dem frühzeitigen Austrocknen von ehemals besiedelten Grabenabschnitten geführt hat. Derzeit kann O. brunneum hier noch auf benachbarte Abschnitte ausweichen, eine Erhöhung der zu fördernden Trinkwassermenge ist aber langfristig geplant.

Als eine bedeutende Förderung für die Art ist die Renaturierung der Flussläufe zu sehen, da durch eine natürliche Auendynamik geeignete Überschwemmungsbereiche und Gewässer mit Pioniercharakter von selbst entstehen können.   

Zitiervorschlag

Krüner U (2024): Südlicher Blaupfeil (Orthetrum brunneum). In: AG Libellenkunde NRW — Online-Atlas der Libellen Nordrhein-Westfalens. Heruntergeladen von libellenatlas-nrw.lwl.org am 29.03.2024

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