Für die Menschen. Für Westfalen-Lippe.

Atlas der Libellen Nordrhein-Westfalens

Arbeitskreis Libellen NRW in Zusammenarbeit mit dem LWL-Museum für Naturkunde

Der Atlas zeigt Ihnen auf Basis von Topographischen Karten das Vorkommen heimischer Libellenarten. Probieren Sie es aus.

Blauflügel-Prachtlibelle

Calopteryx virgo

Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
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Startjahr

Endjahr

 

Artfoto
Männchen von C. virgo (Wahner Heide, 16.05.2009). Foto: Thiess, L.

Verbreitung und Bestandssituation

Calopteryx virgo ist eine überwiegend eurasiatisch verbreitete Art, die ein Verbreitungsgebiet besiedelt, das von Nordafrika über ganz Europa bis in das nördliche Skandinavien und ostwärts über den gesamten asiatischen Kontinent reicht. In Europa sind lediglich der Süden der Iberischen Halbinsel, die nördlichen Gebiete der Britischen Inseln und der Westen Skandinaviens nicht besiedelt (Dijkstra & Lewington 2006). In den Niederlanden ist die Art selten und nur auf wenige Regionen im Süden und Osten Landes beschränkt (NVL 2002). In Deutschland ist C. virgo weit verbreitet, jedoch meist nur in den Mittelgebirgsregionen über größere Strecken häufig anzutreffen.

Calopteryx virgo ist in Nordrhein-Westfalen eine an Fließgewässer gebundene Libellenart, die in den Mittelgebirgslandschaften teilweise wieder verstärkt auftritt. Die aktuellen Verbreitungsschwerpunkte liegen im Bergischen Land, im Sieger- und Sauerland sowie in der Eifel. Die geringere Funddichte im westlichen und zentralen Sauerland sowie im Weserbergland dürfte auf eine geringere Erfassungsintensität zurückzuführen sein. Zumindest zwischen Egge und Weser ist die Art mittlerweile (wieder) flächendeckend verbreitet, wie stichprobenartige Kontrollen belegen. Die inselhaften und zerstreuten Nachweishäufungen im nordrhein-westfälischen Tiefland sind in den Einzugsgebieten der Flusssysteme von Weser, Werre, Ems, Lippe, Niers und Schwalm zu lokalisieren. So finden sich auch Vorkommen im Bereich starker Quellschüttungen z.B. an der Heder und der Pader.

Während C. virgo in der älteren faunistischen Literatur für das Sauerland (Dobbrick 1934) und Westfalen (Becker 1961) noch als „ziemlich“ bzw. „meistens häufig“ oder „überall nicht selten“ (Kolbe 1886) bezeichnet wurde, nennen Gries & Oonk (1975) die Art für Westfalen als „nur noch an beschatteten, kühlen Fließgewässern“ vorkommend. Zu diesem Zeitpunkt haben sicherlich die Begradigung der Fließgewässer und die Wasserverschmutzung für eine deutliche Reduktion der Vorkommen gesorgt. Ant (1967) hingegen nennt allerdings sowohl C. splendens als auch C. virgo „recht häufig“ für die Lippe, allerdings mit dem Hinweis, dass C. virgo vor allem unterhalb von Wehren mit deutlich bewegterem Wasser und erhöhtem Sauerstoffgehalt zu finden ist, während C. splendens in den Staubereichen vor allem oberhalb derselben mit ruhiger Wasserführung vorkomme.

Diese Beschreibungen sind auch deswegen von Interesse, weil Vonnegut (1938), also 30 Jahre früher als Ant (1967), über die Ems schreibt, dass hier ausschließlich C. virgo vorkomme, eine Bemerkung die heute kaum noch nachvollziehbar ist. Es sei denn, man geht davon aus, dass Fließgewässer wie die Ems vor knapp 100 Jahren in weiten Teilen zum Beispiel mit beschattenden Ufergehölzen bewachsen gewesen sind und damit auch die Wassertemperatur deutlicher niedriger war als in heutigen Tagen.

Le Roi (1915) stuft sie für die Rhein-Provinz als „häufig“ ein, jedoch „weder so verbreitet noch so individuenreich“ wie C. splendens. Kikillus & Weitzel (1981) fanden sie in den Mittelgebirgsrandlagen des Rheinlandes „weit verbreitet“, stellten jedoch einen Häufigkeitsrückgang im Bereich größerer Städte und industrieller Ballungsräume fest. Im Niederrheingebiet fand Greven (1970) C. virgo „an Waldbächen, nicht zahlreich“, während Jödicke et al. (1989) dort einen starken Bestandsrückgang feststellten, da sie die Art an alten Fundorten nicht mehr nachweisen konnten. In vielen Landesteilen war C. virgo in den 1980er Jahren bis unter die Nachweisbarkeitsschwelle verschwunden oder überlebte nur in kleinsten, im Gelände kaum wahrnehmbaren Populationen. Dies ist insbesondere für das Südwestfälische Bergland gut dokumentiert (Belz 1997; Belz & Fuhrmann 2000; Bußmann 2000, 2003; Kordges 2000; Schlüpmann 2000b). Erst seit Mitte der 1980er Jahre ist landesweit wieder eine verstärkte Bestandszunahme der Art zu registrieren. Dieser Wiederbesiedlungsprozess ist zurzeit noch nicht abgeschlossen. Vor allem im Weserbergland, im Sauer- und Siegerland sowie in der Eifel existiert eine Vielzahl offenbar geeigneter Bachläufe, die gegenwärtig noch ohne Nachweis von C. virgo sind und deshalb zukünftig weiterhin beobachtet werden sollten. Die Wiederbesiedlung von Fließgewässern durch C. virgo in Nordrhein-Westfalen dokumentieren Stevens & Riedel (2001) anhand der Larven am Beispiel der Bäche im Stadtgebiet von Bergisch-Gladbach (Rheinisch-Bergischer Kreis) und Bußmann (2003) stellt dieses am Beispiel der Ennepe in Halver (Märkischer Kreis) für die Imagines dar.

Die meisten gemeldeten Vorkommen betreffen Beobachtungen von Einzeltieren oder vergleichsweise kleinen Beständen; größere Vorkommen von mehr als 100 Individuen wurden nur in wenigen Fällen gemeldet. Diese Angaben lassen darüber hinaus auf Grund des fehlenden Bezugs zur untersuchten Fließgewässerstrecke keine Abschätzung der tatsächlichen Individuendichte zu. So zählte Heimann (2000) an einem 500 m bis 600 m langen Bachabschnitt in Schwerte bis zu 70 Tiere. Belz & Fuhrmann (1995) stufen zwei Vorkommen von über 100 Tieren im Siegerland als Großpopulationen ein. Zwei von Bußmann (2003) als Juni-Tagesstichproben zur Hauptflugzeit durchgeführte Zählungen an 12,6 km desselben Bachlaufs in den Jahren 1997 und 2002 ergaben 1210 und 1669 Imagines.

Sicher bodenständige Vorkommen sind bis über 500 m ü.NN Höhe bekannt (Rotbach [5504/4]).

Lebensräume in Nordrhein-Westfalen

Calopteryx virgo besiedelt naturnahe, saubere, sommerkühle und sauerstoffreiche Fließgewässer. Im Bergland sind dies die Oberläufe der Bäche und kleineren Flüsse in den grünlandgeprägten Tälern der Mittelgebirge. Die Uferbereiche sind meist mit Fluren von Petasites hybridus (Gewöhnliche Pestwurz) oder Röhrichten aus Phalaris arundinacea (Rohrglanzgras) bewachsen. Lückige Erlenbestände, die eine hinreichende Besonnung des Gewässers gewährleisten, begleiten den Bachlauf, können aber auch gänzlich fehlen. Typische Waldbäche, die durch den Kronenschluss der Bäume vollständig beschattet sind, werden im Bergland gemieden. Im Tiefland findet sich C. virgo überwiegend an Bachoberläufen. Hier kommt sie meist in kleineren Populationen an waldbestandenen, überwiegend sandgeprägten Bächen wie dem Gellenbach [3912/1], dem Eltingmühlenbach [3812/3] mehreren Bächen in der Kirchheller Heide [4407/1] oder in der Heubachniederung [4109/3] vor (z.B. Schmidt 1997, Olthoff & Schmidt 2009). Im Gegensatz zum Bergland werden hier aber auch erlenbestandene, völlig beschattete Waldbäche besiedelt (Jödicke et al. 1989, Hermans 1992). In stark beschatteten Bachläufen kommen natürlicherweise nur wenige höhere Pflanzenarten vor. Im Bergland sind dies Ranunculus penicillatus und R. fluitans (Pinselblättriger und Flutender Wasserhahnenfuß). Die im flachen Bachwasser flutenden Matten dieser Pflanzen dienen den Weibchen als Eiablagesubstrate. Die untergetauchten Teile sind der Lebensraum für die Larven, ebenso wie das in den Wasserkörper hineinwachsende Wurzelgeflecht von Uferpflanzen.

Phänologie in Nordrhein-Westfalen

Als Frühsommerart beginnt die Schlupf- und Flugphase von Calopteryx virgo Anfang Mai und endet im August bzw. September. Die Hauptflugzeit liegt zwischen Ende Mai und Juli, ab Ende Juli nimmt die Dichte deutlich ab, so dass sich im August und September zumeist nur noch Einzeltiere beobachten lassen. Der früheste Nachweis erfolgte am 01.05.(1998), der späteste am 08.10.(1932). C. virgo schlüpft an den höher gelegenen Fortpflanzungsgewässern der Mittelgebirge etwas später als im Flachland.

Gefährdung und Schutz

Calopteryx virgo gilt in Deutschland als „ungefährdet“ und wird in Nordrhein-Westfalen als Art der „Vorwarnliste“ geführt (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011).

Die Hauptgefährdungsursache für C. virgo in den 1950er bis 1980er Jahren dürfte die damalige nahezu landesweite Verschmutzung unserer Fließgewässer gewesen sein. Diese Gewässerverunreinigung, hervorgerufen durch Einleitung unzureichend geklärter Abwässer und Eintrag von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft, ging einher mit dem planmäßigen Ausbau und der Begradigung der Bäche und kleineren Flüsse im Rahmen der Flurbereinigung. Hierdurch waren die Lebensräume der Fließgewässerlibellen so stark beeinträchtigt, dass sie als Fortpflanzungsgewässer und Larvallebensräume Jahrzehnte lang nicht mehr zur Verfügung standen, weshalb es zu Bestandseinbrüchen kam. Nur in wenigen unbeeinträchtigten Bachabschnitten und kleineren Nebenläufen konnte die Art offenbar überleben. Als Schutzmaßnahmen für die Art greifen nur die Erhaltung und Optimierung der Fließgewässer in Verbindung mit den Bestrebungen, diese mit ihrer unmittelbaren Umgebung in einen naturnahen Zustand zu bringen. Aus diesem Grund sollten Ausbau-, Begradigungs- und Unterhaltungsmaßnahmen an Gewässern gänzlich eingestellt und weitere Renaturierungsmaßnahmen durchgeführt werden.

Zitiervorschlag

Bußmann M (2024): Blauflügel-Prachtlibelle (Calopteryx virgo). In: AG Libellenkunde NRW — Online-Atlas der Libellen Nordrhein-Westfalens. Heruntergeladen von libellenatlas-nrw.lwl.org am 05.12.2024

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