Hochmoor-Mosaikjungfer
Aeshna subarctica
Erstnachweis:
Nachweise im Atlas:
Anhang II :
Anhang IV:
Kartenansicht
Startjahr
Endjahr
Verbreitung und Bestandssituation
Aeshna subarctica ist ein eurasiatisches-subarktisches Faunenelement mit einer holarktischen Verbreitung. Sie kommt somit sowohl in Nordamerika als auch in Europa und Asien vor. Europa wird dabei von der Unterart A. subarctica elisabethae besiedelt. In Europa reicht das Areal der Art von den Alpen im Süden bis nach Nordskandinavien. Die westlichsten Vorkommen liegen in den Vogesen und im Jura in Ostfrankreich, im Hohen Venn im östlichen Belgien sowie in den nordöstlichen Niederlanden (Dijkstra & Lewington 2006). Während die Art im Süden und in der Mitte Deutschlands weitgehend auf die Hochlagen der Mittelgebirge und die Alpen beschränkt ist, besiedelt sie in Norddeutschland die Tiefebene. Mit Ausnahme von Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland konnte die Art in allen Flächenbundesländern Deutschlands nachgewiesen werden (vgl. Müller & Schorr 2001). Mit dem Rückgang der von der Art besiedelten Hochmoore ist A. subarctica in Mitteleuropa in den letzten 50 -100 Jahren fast überall stark zurückgegangen.
Aeshna subarctica zählt zu den seltensten Libellenarten Nordrhein-Westfalens. Ihren Verbreitungsschwerpunkt hat sie in mehreren Moorgebieten in den nördlichen Bereichen der Westfälischen Bucht und des Westfälischen Tieflandes. Daneben findet sie sich sehr lokal am östlichen Rand des Hohen Venns in der westlichen Eifel. Dementsprechend ist die Höhenverbreitung der Art: Im Hohen Venn besiedelt sie Höhenlagen zwischen 500 und 700 m ü.NN, im Tiefland hingegen findet sie sich ausschließlich unterhalb von 100 m ü.NN. Unklar ist die Art im Hiddeser Bent, wo die Art letztmalig im Jahr 2010 dokumentiert werden konnte (Sonnenburg & Garczorz 2014).
Im Westfälischen Tiefland wurde A. subarctica erstmalig 1981 im NSG Oppenweher Moor [3417/3 + 3416/4], einem Teilgebiet des Stemmer Moores, entdeckt (Clausen 1982). Seither konnte alljährlich die Bodenständigkeit der Art durch Exuvienfunde belegt werden, wenn auch mit zum Teil erheblich schwankenden Bestandszahlen. Im Jahr 2005 wurde ein weiteres bodenständiges Vorkommen im nordöstlichen Westfälischen Tiefland im NSG Großes Torfmoor [3618/3] nachgewiesen (Geschke 2005). Diese beiden Vorkommen dürften im Austausch mit weiteren besiedelten Mooren in der Diepholzer Moorniederung im angrenzenden Niedersachsen stehen (vgl. Kern 1995, Ewers 1999).
Der landesweit erste und jahrzehntelang einzige Nachweis in der Westfälischen Bucht stammt aus dem Weißen Venn, wo Peus (1928) am 21.09.1926 eine Kopula der Art beobachten konnte. Im NSG Fürstenkuhle [4008/3], dem kleinen Rest des heute weitgehend kultivierten Weißen Venns, konnte die Art letztmalig 1985 nachgewiesen werden (Schmidt 1992; Riedel 1993). Seit Anfang der 1990er Jahre fehlen in diesem Moor die von A. subarctica präferierten Habitate, und die Art gilt als ausgestorben (Schmidt 1997). Rudolph (1984b) und Schmidt (1984b) fanden erstmalig Exuvien und Imagines von A. subarctica an einem Sphagnum-Tümpel im NSG Heiliges Meer [3611/2+4], wo die Art auch aktuell noch bodenständig vorkommt. Auf Grund des nur geringen Angebotes an geeigneten Fortpflanzungsgewässern ist zu vermuten, dass dieses Vorkommen in Kontakt mit einem weiteren besiedelten Moorgebiet in unmittelbarer Nähe steht. In Frage käme hier das etwa zehn Kilometer entfernt gelegene NSG Recker Moor [3612/2], in dem ein entsprechendes Angebot an geeigneten Sphagnum-Gewässern vorhanden ist. Ein Nachweis der Art steht hier bis heute noch aus. Deutlich weiter entfernt gelegen ist das NSG Emsdettener Venn [3810/2], wo die Art einmalig am 23.09.2000 mit einem Männchen nachgewiesen werden konnte.
Innerhalb des Kreises Borken konnte A. subarctica in den letzten Jahren in drei Moorgebieten nachgewiesen werden: dem Zwillbrocker Venn [3906/3] (Rudolph 1978; Olthoff 2010), dem Witte Venn [3807/3] (Olthoff & Ikemeyer 2003) und dem Amtsvenn-Hündfelder Moor [3807/2], (Olthoff & Ikemeyer 2011). Während das Vorkommen im Zwillbrocker Venn seit 1976 bekannt ist, konnte die Art im Witte Venn zum ersten Mal im Jahr 1999 und im Amtsvenn-Hündfelder Moor erstmalig 2010 nachgewiesen werden. Olthoff & Ikemeyer (2011) gehen davon aus, dass die Vorkommen im Kreis Borken gemeinsam mit den angrenzenden Vorkommen in den Niederlanden und Niedersachsen eine große [Meta]Population bilden.
Im Hiddeser Bent [4018/4] konnte die Art in den 1980er Jahren von H. Dudler und St. Hachmeister mit Einzeltieren sowie einer Kopula angetroffen werden. Hier konnte sie am 10.08.2010 mit Fotonachweis erneut bestätigt werden (Sonnenburg & Garczorz 2014). D. Hahn (schriftl. Mitt.) konnte die Art zuletzt 1987 in der nahe gelegenen Senne nachweisen (ebd.). Ob es sich bei dem aktuellen Nachweis im Hiddeser Bent um ein eingewandertes Tier handelt oder doch noch eine Restpopulation diesen Bereich in Ostwestfalen besiedelt, ist unklar. Sonnenburg & Garczorz (2014) gehen für die heutige Zeit „eher von einem Gaststatus“ der Art aus.
Das einzige aktuelle Vorkommen im Rheinland befindet sich am Rande des Hohen Venns im NSG Wollerscheider Venn [5303/4]. Dort wurde die Art erstmals von Schmidt (1983b) beschrieben. Im belgischen Teil des Hohen Venns ist sie nach anhaltenden Degenerationsprozessen in den Mooren Anfang des 21. Jahrhunderts nur noch an fünf Orten festgestellt worden (Goffart 2000; Aletsee 2005a). Durch Renaturierungsmaßnahmen und intensivere Forschung sind aktuell neue Fundorte hinzugekommen (Kever et al. 2014). Das Vorkommen im Wollerscheider Venn steht in Verbindung mit den nur wenige Kilometer entfernten belgischen Vorkommen, so dass die Population auf der deutschen Seite vermutlich als seit mindestens einigen Jahrzehnten stabile Teilpopulation anzusehen ist. Die Schlupfrate im Wollerscheider Venn wird anhand von Exuvienzählungen auf ungefähr 50 Imagines pro Jahr geschätzt. Es konnten maximal fünf Imagines im Gebiet beobachtet werden (Aletsee 2005a+b, 2010).
Lebensräume in Nordrhein-Westfalen
Die sphagnobionte Aeshna subarctica besiedelt flutende Torfmoosdecken, die zumindest in Randbereichen von Seggen-, Wollgras oder Binsenrieden bestanden sind (vgl. Schmidt 1964). Als Eiablagesubstrat sowie Larvenlebensraum dienen die flutenden Sphagnum-Polster, der Schlupf erfolgt an den Stängeln der genannten Rieder (vgl. Peters 1987).
Aeshna subarctica kommt im westfälischen Tiefland bevorzugt in den ehemaligen, heute weitgehend degradierten Hochmooren vor, vereinzelt wird sie auch an torfmoosreichen Heideweihern bodenständig nachgewiesen. Auf Grund der weitgehenden Zerstörung der Hochmoore sind Primärhabitate wie beispielsweise Moorkolke für die Art kaum mehr vorhanden. Stattdessen besiedelt sie sekundäre Lebensräume wie altbäuerliche Handtorfstiche sowie Moorschlenken und ehemalige Entwässerungsgräben, in der sich - oft durch Wiedervernässungsmaßnahmen bedingt - eine entsprechende Vegetation aus flutenden Torfmoosen entwickeln konnte.
Bei Langzeituntersuchungen im Oppenweher Moor konnte nachgewiesen werden, dass altbäuerliche Handtorfstiche von A. subarctica zur Reproduktion genutzt werden, soweit sich an ihnen vom Rand her Torfmoosrasen ausgebildet haben. Wächst der Torfstich gänzlich zu, wird er von der Art nicht mehr zur Eiablage genutzt. Wenige Jahre nach diesem Stadium konnten im Oppenweher Moor immer noch einzelne Exuvien gefunden werden, was auf die lange Larvalentwicklung der Art hindeutet. Diese Beobachtungen dürften auch für die übrigen westfälischen Moorgebiete gelten.
Oftmals teilt sich A. subarctica den Lebensraum mit ihrer Schwesterart A. juncea (Torf-Mosaikjungfer). Im NSG Oppenweher Moor zeigten Untersuchungen in den letzten 30 Jahren zunächst ein ungefähres Gleichgewicht in der Anzahl aufgesammelter Exuvien, das sich im Laufe der Jahre zu Gunsten von A. subarctica verschoben hat. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit einer zunehmenden Entwicklung großer Torfmoosbestände (Kern 2010).
Neben den genannten Moorstandorten besiedelt A. subarctica in Nordrhein-Westfalen auch torfmoosreiche Heidegewässer. So gelangen Exuviennachweise im Witte Venn im Jahr 1999 in der torfmoosreichen Verlandungszone eines wenige Hektar großen Heideweihers (Olthoff & Ikemeyer 2003). Seitdem hat sich hier das Vorkommen flutender Torfmoose von Jahr zu Jahr verringert, so dass aktuell nur noch kleine Randbereiche des Heideweihers von flutenden Torfmoosen geprägt sind und die Art hier keine geeigneten Fortpflanzungsbedingungen mehr vorfindet. Im NSG Heiliges Meer [3611/2+4] sind bodenständige Nachweise der Art seit 1978 von einem kleinen Heidetümpel bekannt (Rudolph 1984b; Schmidt 1984b), der nur in einem schmalen Randbereich von flutenden Torfmoosen bestanden ist. Seitdem gelangen regelmäßig Exuvienfunde an diesem Gewässer.
Im Hohen Venn handelt es sich bei den Reproduktionshabitaten um Schlenken und Kolke in oligotrophen Zwischenmooren der Palsenstrukturen. Dies sind Reste periglazialer - d.h. während der Eiszeiten entstandener - Frosthügel, die nacheiszeitlich Wasser gefüllte Senken entstehen ließen. Nur die Palsen, die kaum Kontakt zum Grundwasser haben und die eine weitgehend ungestörte Hochmoorvegetation besitzen, werden von A. subarctica besiedelt. Nach Bönsel (2001) findet sich die Art in Gewässern, die einen pH-Wert von unter 4,5 aufweisen. Die Reproduktionsgewässer im Hohen Venn weisen flutende Torfmoosrasen auf, die von Sphagnum fallax (Trügerisches Torfmoos) und S. majus (Großes Torfmoos) gebildet werden und von lockeren Beständen aus Eriophorum angustifolium (Schmalblättriges Wollgras) durchsetzt sind (Aletsee 2005a). Die ausschließliche Besiedlung derjenigen Palsen im Wollerscheider Venn, die eine weitgehend ungestörte Hochmoorvegetation aufweisen, lässt eine eingeschränkte ökologische Amplitude an der hier verlaufenden westlichen Verbreitungsgrenze vermuten (Aletsee 2010).
Phänologie in Nordrhein-Westfalen
Die Hauptflugzeit von Aeshna subarctica erstreckt sich in Nordrhein-Westfalen auf den Zeitraum zwischen Mitte Juli und Anfang September. Die Schlupfzeit beginnt dabei in der Regel Anfang Juli, die früheste Beobachtung gelang am 20.06.(2005). Die Flugzeit endet in der Regel Ende September (späteste Beobachtung in NRW: 29.09.(1989), wobei die Art vereinzelt auch noch im Oktober angetroffen werden kann. So stammt die späteste Beobachtung vom 21.10.(1985) aus dem belgischen Teil des Hohen Venns.
Gefährdung und Schutz
Aeshna subarctica gilt in Deutschland und Nordrhein-Westfalen als „vom Aussterben bedroht“ (Ott et al. 2015; Conze & Grönhagen 2011). Die Art gehört zu den streng geschützten Arten.
Die Art ist in Nordrhein-Westfalen durch die Veränderung und Zerstörung Ihrer Lebensräume durch Entwässerung, Nährstoffeintrag und Verlandung gefährdet. Die in den letzten Jahrzehnten in vielen Mooren Nordrhein-Westfalens durchgeführten Renaturierungsmaßnahmen werden überwiegend positiv für die Art bewertet. In diesem Zusammenhang sei aber auf die Anregung von Altmüller & Clausnitzer (2010) hingewiesen, bei der Moorrenaturierung die von Mineralböden geprägten Randbereiche möglichst breit in die Wiedervernässung mit einzuziehen, damit hier neue, vom Überschusswasser gespeiste Moorgewässer entstehen können.
Darüber hinaus sollten in den westfälischen Tieflandmooren gezielte Artenschutzmaßnahmen durchgeführt werden, die mittelfristig neue Reproduktionsgewässer für die Art entstehen lassen. So droht beispielsweise im Oppenweher Moor, im Zwillbrocker Venn oder im Amtsvenn-Hündfelder Moor eine Verlandung der bestehenden Torfstichgewässer, die in diesen Mooren die wichtigsten Reproduktionsgewässer für A. subarctica darstellen. In diesen Gebieten sollte damit begonnen werden, entweder verlandete Torfstiche von Ihrer Vegetationsdecke zu befreien oder neue Gewässer auf Torfkörper anzulegen. Oftmals erscheint eine Neuanlage auf vegetationskundlich unbedenklichen Beständen von Pfeifengras (Molinia caerulea) oder Adlerfarn (Pteridium aquilinium) sinnvoller, da die wertvolle Moorvegetation der verlandeten Torfstiche verschont wird. Somit stünden rechtzeitig vor einer vollständigen Verlandung der altbäuerlichen Torfstiche neue Reproduktionsgewässer für A. subarctica zur Verfügung.
Im Zwillbrocker Venn, wo die Art einen etwa 20 ha großen Bereich mit einigen hundert altbäuerlichen Torfstichen besiedelt, stellt der Nährstoffeintrag aus der nahe gelegenen, individuenreichen Lachmöwenkolonie eine weitere Beeinträchtigung dar. Die in unmittelbarer Nähe der Kolonie gelegenen Torfstichgewässer sind durch eine nicht mehr hochmoortypische Vegetation mit Vorkommen von Flatterbinse (Juncus effusus) und Schilf (Phragmites australis) geprägt und für A. subarctica vermutlich nicht mehr zur Fortpflanzung geeignet.
Die aktuelle Situation von A. subarctica im Witte Venn ist sehr kritisch. Sollten die Faktoren, die zu einem weitgehenden Verschwinden der noch vor wenigen Jahren hier vorhandenen, großflächigen Sphagnum-Rasen geführt haben, nicht identifiziert und abgestellt werden, dürfte ein lokales Aussterben der Art - wenn nicht bereits geschehen - nicht zu verhindern sein.
Im Wollerscheider Venn ist die Art durch den Verschluss angrenzender Entwässerungsgräben aktuell nicht mehr durch Entwässerung bedroht. Darüber hinaus konnten durch den Verschluss der Anstiche in den Palsenwällen die hydrologischen Verhältnisse in den Zwischenmooren stabilisiert werden. Die Beweidung des Gebietes durch eine große Wanderschafherde wurde eingestellt, weil negative Auswirkungen auf den Chemismus und damit sowohl auf die Vegetation als auch auf die Libellenfauna der Palsen nicht auszuschließen waren (Remobilisierung, Einschwemmung und Einwehung von Nährstoffen in die tiefer gelegenen Palsen). Angrenzende Fichtenforste wurden großflächig entfernt und die Flächen vernässt.
Insbesondere am westlichen Arealrand ist A. subarctica als subarktisches Faunenelement einer potentiellen Gefährdung durch die angenommene Klimaerwärmung ausgesetzt. Schon jetzt ist die mittlere Jahrestemperatur beispielsweise im Hohen Venn um 1°C erhöht und die Vegetationszeit um 20 Tage verlängert. Diese Entwicklung wird zu Veränderungen der Vegetation, des Gewässerchemismus und der Gewässerhydrologie führen. Arten wie Aeshna juncea werden möglicherweise konkurrenzfähiger und könnten A. subarctica verdrängen.
Für A. subarctica wird geraten, ein landesweites Artenschutzprogramm einzurichten.